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Aminet 23
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Aminet 23 (1998)(GTI - Schatztruhe)[!][Feb 1998].iso
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Text File
|
1997-12-01
|
5KB
|
89 lines
#Titel Jokes & Stories / Island
#Logo gadget33:Pinsel/AG.J&S
#Font Losse 16
#C31
Island
#Font topaz 8
#C21
"12. Dezember 1980 - 24. Februar 1989". Inzwischen wirkte der Stein
schon leicht verwittert. Immerhin stand er hier schon seit vier Jahren
und trotzte dem feuchten Wetter. 'Jetzt ist sie zumindest nicht mehr
allein.' dachte er. Es hätte gestern sein können. Mitten während einer
Lesung seines neuen Buches hatte das Telefon geklingelt. Das Krankenhaus
war am anderen Ende gewesen. "Ihrer Tochter geht es nicht sehr gut,
es wäre am Besten, wenn sie hierher kommen. Ihre Frau ist bereits
hier und braucht auch ihre Hilfe". So schnell ist er nie wieder seitdem
gefahren. Das Gesicht der Schwester an der Rezeption sagte ihm schon
alles. Man brachte ihn zu seiner Frau. Sie lag an einem Tropf in einem
Zimmer in der Notaufnahme. Sie war weiß, nicht bleich sondern vollkommen
weiß. Ihre Augen stachen rot hervor, rot von Tränen, und sie blickt
starr an die Decke. Acht Monate lang hatten sie gewußt, was auf sie
zukommen würde, aber niemand hatte sie wirklich darauf vorbereitet.
Wie konnte es auch sein, daß ein Kind von nicht mal neun Jahren nie
wieder gesund werden könnte. Sein kleiner Schatz hatte es nie wirklich
glauben wollen. "Ach Papi, Gott läßt Kinder nicht einfach so sterben.
Das hat auch der Pfarrer gesagt. Ich werd' wieder gesund, das weiß ich
und dann fahren wir zusammen nach Island, wie du versprochen hast. Alles
wird gut...". Ihr gegenüber hatte er sich immer beherrscht und ihr Mut
gemacht, aber wenn er allein war, weinte er bitterlich, denn er kannte
die Wahrheit. Seine Frau hatte sich über die Monate verschlossen und in
sich selbst zurückgezogen. Sie konnte nicht mit ihm darüber reden.
Jetzt trat er an ihr Bett. Er beugte sich über sie und nahm sie in seine
Arme. Er hielt sie so doll fest, wie er nur konnte. Ihr Blick ruhte immer
noch auf der Decke. "Ich will nicht sterben, Mami. Wo ist Papa? Ich will
nicht...er läßt mich nicht sterben. Wir wollen doch nach Island!" Die Worte
aus ihrem Mund waren kalt. Gefühllos. Die Worte bohrten sich wie Messer
in sein Herz. Neben dem Grab seines kleinen Schatzes, lagen viele
Blumen auf dem frisch aufgeschütteten Erdhügel. Ein Stein war noch nicht
gesetzt. Schon jetzt sah er die Zahlen über dem Grab brennen.
"23. Juli 1960 - 24. Februar 1993". Die Zeit danach war schrecklich
gewesen. Seine Frau, die einzige, die ihm jetzt geblieben war, verfiel in
Lethargie, aus der sie nur im Wahn des Alkohols wieder hervorkam.
Er kümmerte sich Tag und Nacht um sie. Nach einem halben Jahr kündigte
ihm sein Verlag alle Verträge auf, weil er keine Skripte mehr einreichen
konnte. Kurz darauf mußten sie aus ihrer Wohnung ausziehen. Sie zogen
bei seinen Schwiegereltern ein, in das kleine Haus am Stadtrand. Nur
10 Minuten vom Friedhof entfernt. Er nahm Jobs an, über die er früher
nur arrogant gelächelt hatte und fast alles Geld verschlang der
Psychater seiner Frau. Nach zwei Jahren besserte sich die Lage wieder.
Zwar wohnten sie immer noch in dem kleinen Haus nahe des Friedhofs, aber
seine Frau war weg vom Alkohol und began endlich wieder mit ihm zu
reden. Daß sie den Tod ihres kleinen Schatzes nie verwunden hatte war
offensichtlich gewesen. Er hatte es auch nie. Auf seinen Vorschlag
vielleicht ein zweites Kind zu bekommen, reagierte sie geradezu
hysterisch. Das Thema Adoption hatte er sich dann nicht mehr getraut
aufzubringen. Insgeheim litt er unheimlich. Wenn er Kinder auf der
Straße sah, mußte er wegsehen. Es war immer ihr Gesicht. Nachts
wachte er schweißgebadet auf. "Wir wollen doch nach Island!" hallte
es dann in seinen Ohren wieder. Aber zumindest hatte er noch einen
Sinn im Leben. Seine Frau brauchte ihn und er liebte sie so sehr wie
am ersten Tag, so wie auf ihrer Hochzeit. Wie wundervoll hatte sie
damals ausgesehen und der schwangere Bauch hatte noch mehr dazu
beigetragen. Die Geburt seines kleinen Schatzes und wie er dabei
aus Angst um seine Frau ohnmächtig geworden war. Die Einschulung seiner
Kleinen, wie sie mit dem ausgeschlagenen Zahn und ihrer Schultüte
dastand. Ihr achter Geburtstag, ihr letzter. Und was hatte er
jetzt noch? Horror, Angst und Verzweiflung. Der Schnee fiel so dicht
an diesem Abend. Es war Ende Februar gewesen, gerade vor zwei
Wochen. Seine Frau war vom Einkaufen nicht zurückgekommen und er saß
mit ihren Eltern vor dem Kamin und machte sich Sorgen. Mit Einbruch
der Dunkelheit war er hinaus in den Schneesturm gelaufen. Sie war immer
noch nicht da. Er rannte zum Friedhof. Vor dem Grab lag sie, beschienen
vom Vollmond, mitten im rot gefärbten Schnee. Er nahm ihren toten
Körper auf und drückte ihn an sich, während die toten Augen auf
den Grabstein starrten. Sein Schmerzenschrei verhallte ungehört auf
dem verlassenen Friedhof und mit seinen Tränen versiegte sein Sinn
am Leben. So kam es, daß er dann über den Gräbern der Frauen stand,
die ihm alles bedeutet hatten, für die er hatte leben wollen.
Die beiden roten Rosen, auf jedem Grab eine, hatte er kurz zuvor
zurechtgerückt. Er drehte sich um und ging fort von den Gräbern ohne
jemals wieder zurückzukehren. Sein Flug in den ewigen Frieden
ging in einer Stunde. Flugnummer 3456 der Lufthansa nach Island.
#C31
Copyright by Kai Bodensiek
#C10
e-Mail: K.Bodensiek@JPBerlin.BerliNet.de
oder K.Bodensiek@student.hu-berlin.de